Historische Torbögen erzählen Geschichte
Es steht auf dem Hof von Rudolf Kühlmann im Hedafeld. Der Neuenkirchener Gerald Doppmeier hat den Spruch entdeckt und in seine Sammlung aufgenommen. Denn der 52-Jährige pflegt eine seltene Freizeitbeschäftigung: Sein Hobby sind Westerwieher Hausinschriften. Wenn Doppmeier, der beruflich als Elektrotechniker tätig ist, gefragt wird, warum er es auf die in Holz geschlagenen Worte abgesehen hat, die er emsig nach Feierabend sammelt, dann sagt er: „Fast 500 Jahre lang waren diese Sprüche eine Tradition, an der fast kein Hausbauer vorbeikam.
Zusätzlich war es üblich, Daten zum Bau am Eigenheim zu verewigen. Inschriften dienten außerdem auch der Würdigung der Bauherren.“ Dies sei der Teil einer Kultur, die er vor dem Vergessen bewahren wolle. Gerald Doppmeier hat sich immer schon für Familienforschung interessiert. Er stellte fest, dass es für Hausinschriften von Rietberg, Bokel, Druffel und Varensell bereits andere reichhaltige Quellen gibt. „Warum nicht auch von Westerwiehe?“, fragte er sich 2016 und begann mit seiner Untersuchung. Grundlage für ihn war die Urkatasteraufnahme des Hühnerdorfs von 1820 mit 115 Hofstellen. Westerwiehe hatte zu diesem Zeitpunkt nur Hausnummern, die Wege trugen noch keine Namen. Hausnummer 1 war der Hof Winkelheide, heute zu finden an der Straße In den Marken 2. Doppmeier erkannte, dass die Zahlen im Uhrzeigerrichtung um das Dorf herum stiegen. Die Reihe endete mit der Nummer 110 auf dem Hof Aldehof, heute Kleinemaas, Westerwieher Straße 180.
„Zunächst musste ich den historischen Verortungen die aktuellen Adressen zuordnen.“ Dies gelang ihm, weil er den Onlinedienst Google Maps gezielt einsetzte. „Zu 90 Prozent lag ich bei meinen Vergleichen richtig. Da habe ich auch mit Staunen festgestellt, dass sich viele Flurstücke von Höfen nicht verändert haben – sogar Baumreihen sind so erhalten geblieben, wie sie einmal gepflanzt worden sind.“ Gerald Doppmeier begann damit, die bäuerlichen Anwesen aufzusuchen, der Reihe nach und auf der Grundlage der Urkatasteraufnahme. Inzwischen hat er 90 Höfe persönlich in Augenschein genommen. „Dazu kommen Gebäude mit einer Hausinschrift, die nach 1820 errichtet wurde.“ 25 Adressen warten noch auf ihn.
Bei seinen Besuchen hätten die Eigentümer ihm meist bereitwillig Auskunft gegeben über die jeweilige Inschrift. „Sofern sie noch vorhanden war. Manchmal musste ich mit Bewohnern auf dem Dachboden nach dem Türsturz suchen“, sieht Gerald Doppmeier seine „Fahndungen“ mit Humor. Ein Exemplar wurde ins Sauerland verfrachtet. So hatte der Westerwieher Gastwirt Seppel Kreutzheide den Balken seinem Schwager vermittelt, der in Winterberg ein Hotel führte, in dem sich bis heute das „Souvenir“ befinden soll. In Westerwiehe musste in der Nachkriegszeit vielerorts Fachwerk zugunsten von Klinkerbauten weichen. Aber dennoch wird Doppmeier immer noch fündig. So hat er 2018 den Hof Oesterdiekhof, Westerwiehe Nummer 26, abgelichtet, heute Zum Sporkfeld 37, Besitzer Rudolf Freitäger. Der Vorfahre war ein Halbmeyer, vormals Eigenbehöriger des Fürsten zu Kaunitz.
Das Bauernhaus von 1826 weist in der Wirtschaftsgiebelfassade mittig im Deelentorgestell eine so genannte Sturzriegel-Inschrift auf, die von eingeschnitzten Ranken umgeben ist. Sie lautet: „O Mensch schau hin von dieser Erden, die Welt muss verlassen werden, du musst in eine Ewigkeit, da ist Freude oder Traurigkeit.“ Diese Lebensweisheit haben Otto Kofortschröder und Catharina Margaretha Oesterdiekhof mit ihren Namen ins Holz schneiden lassen. Einige Gebäude, sagt Doppmeier, sind Bränden zum Opfer gefallen oder wurden abgerissen, die Holzteile wurden verfeuert. „Türstürze wurden woanders wieder eingebaut und passend zurechtgeschnitten.“ Fachwerk überlebte auch außerhalb der Rietberger Stadtgrenzen. Der frühere Hof Westerwiehe Nummer 35, inzwischen Hedafeld 6, zum Beispiel: Er steht heute in Verl-Sürenheide. Der Speicher des Hofs Westersporkmann, heute Hollenbeck, Sporkfeld, recherchierte Doppmeier, „wurde an Unbekannt verkauft.“ Das Gebäude Lanfermeier, Sporkfeld, sei erst 2020 abgebaut worden. Es soll bald in Langenberg wieder zu sehen sein. „Vielleicht lässt sich ja noch die eine oder andere Hausinschrift in der nahen oder weiteren Umgebung ausfindig machen“, hofft Gerald Doppmeier. „Wer mitforschen will, auch in eigener Familiensache, kann mich anrufen.“ Auf seine Zusammenarbeit mit der Gruppe „Brauchtum und Heimat“, die die Geschichte des Rietberger Stadtteils aufarbeitet, legt er Wert – letztendlich kann der Neuenkirchener auch mit Stolz auf seine Wurzeln hinweisen: Seine Großeltern väterlicherseits stammen aus Westerwiehe.
Haussprüche und -inschriften findet man häufiger in Gegenden, in denen das bevorzugte Baumaterial Holz ist. Denn es ist einfacher, dort etwas hineinzuschnitzen, als es in Stein zu meißeln. Die Tradition gab es in Deutschland bereits im frühen Mittelalter, während der Entstehung von Städten. „Diese Inschriften sind ein Ausdruck uralten Schutzverlangens“, sagt Gerold Doppmeier. „Sie befinden sich deshalb ursprünglich genau dort, wo das Haus meisten gefährdet erscheint, am Dach und über den Öffnungen über Tür und Tor.“ Damit sei auch der Aberglaube verbunden, dass Gebete und Segenssprüche, ebenso stilisierte Zeichen für den Abwehrzauber, verhindern sollen, dass drohende Mächte eindringen können. Es war verbreitet, dass Inschriften in Latein verfasst wurden. Ab dem 16. Jahrhundert begann die Blütezeit für Hausinschriften. Das traditionelle Anbringen von Sprüchen flaute ab dem 19. Jahrhundert ab. Das lag vor allem daran, dass immer weniger Fachwerk gebaut wurde.
Fast ein halbes Jahrtausend lang waren Haussprüche eine Tradition, an der fast kein Bauherr vorbeikam. Zusätzlich war es üblich, Daten zum Entstehungsprozess des Objekts zu verewigen. Nicht nur das Jahr der Errichtung, sondern auch der Namen des Eigentümers und Kommentare waren üblich. So warnt eine Inschrift in einer Westerwieher Deelentür: „Erst bedenken, dann handeln zuvor getan nach her bedacht hat manchen in großes Unglück gebracht.“ Mit Sprüchen wollte man nicht nur Schutz ersuchen, sondern auch einer Art Lebensmotto kundtun. Denn der Hausspruch ist ein sehr persönliches Bekenntnis. Deshalb findet man häufig den Satz „Wer auf Gott vertrauet, der hat wohlgebauet“. Wenn er seine Dokumentation vollendet hat, will Doppmeier sie dem Stadtarchiv Rietberg zur Verfügung stellen.