„Das war der blanke Horror“- Detlev Hanemann besucht Hochwasser-Gebiet
„Die Berichte in den Zeitungen und im Fernsehen können das Ausmaß der Zerstörungen nur unzureichend beschreiben“, erklärt Hanemann. „Wenn man die Schäden mit eigenen Augen gesehen hat, braucht man Zeit, das zu verarbeiten.“ Er habe sich wie in einem Kriegsgebiet gefühlt, fasst Hanemann seine Eindrücke von dem mehrtägigen Besuch in der 13 000-Einwohner-Stadt im Kreis Euskirchen zusammen. „Das war der blanke Horror.“
Mit leeren Händen war Hanemann nicht nach Schleiden gereist. 6774 Euro hatte er im Gepäck. Das Geld war Ende Juli im Rahmen einer von ihm initiierten Spendenaktion in Westerwiehe zusammengekommen. 4000 Euro steuerte die Schützenbruderschaft St. Laurentius bei, deren Vorsitzender Hanemann ist. Eine spontane Hutsammlung während der Hauptversammlung brachte 2076 Euro. Weitere 500 Euro kamen von den Jungschützen. Aus der Vereinskasse wurde der Betrag auf 4000 Euro aufgestockt. Weitere Geldspenden wurden Hanemann in den folgenden Tagen nach eigenem Bekunden „förmlich in die Hand gedrückt“. Jeweils 500 Euro gaben die Landfrauen, der Landwirtschaftliche Ortsverband und ein Kegelverein. Zudem beteiligten sich Unternehmer und Privatpersonen aus dem Dorf. „Diese Hilfsbereitschaft hat mich tief berührt“, resümiert Hanemann. „Denn sie zeigt, dass die Menschen zusammenhalten, wenn es darauf ankommt.“
Menschen geben die Hoffnung nicht auf
Dem Ortsvorsteher war es ein besonderes Anliegen, das Geld persönlich zu überbringen. Aus zweierlei Gründen: Zum einen wollte er dafür Sorge tragen, dass die Spende dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Zum anderen kennt er den Hochwasser-Ort Schleiden noch aus der Zeit vor der Katastrophe. „Damals habe ich ein paar schöne Tage dort verbracht, bin viel gewandert und mit meinem Wohnmobil herumgefahren“, berichtet er.
Daran war diesmal nicht zu denken. Dort Urlaub zu machen, wo Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, wäre für Hanemann nicht infrage gekommen. Stattdessen suchte er das Gespräch mit Betroffenen. Auch ein Treffen mit dem Schleidener Bürgermeister Ingo Pfennings (CDU) stand auf der Agenda. „Er ist fast rund um die Uhr im Einsatz und schläft sogar im Rathaus“, sagt Hanemann.
Auch aus den Töpfen anderer Spendenaktionen ist in den vergangenen Wochen Geld nach Schleiden geflossen – inzwischen nach Angaben Hanemanns mehr als 750 000 Euro. Um eine zielgerichtete und zugleich einheitlich geregelte Verteilung der Spenden zu gewährleisten, werde der Stadtrat der Kommune im Grenzbereich zu Belgien über die Vergabe der Mittel entscheiden, berichtet Hanemann.
Die Bilder von völlig zerstörten Häusern und Geschäften, von Müllbergen und Schuttmassen, von Autowracks und nicht passierbaren Straßen stecken dem Westerwieher Ortsvorsteher und Schützenchef derweil noch immer in den Knochen. Beeindruckt hat ihn, dass die Menschen in der betroffenen Region auch im Licht der Katastrophe die Hoffnung nicht verloren haben. „Jede Begegnung, die ich in der Stadt hatte, verlief freundschaftlich und offenherzig“, sagt Hanemann. „Das hat mir imponiert.“
Hätte man vor dem Hochwasser warnen können? Hanemann glaubt dies nach zahlreichen Gesprächen mit Einheimischen nicht. Das wahre Ausmaß der Flut sei im Vorfeld kaum abzuschätzen gewesen. „Und ob die Menschen ihre Häuser und Höfe zurückgelassen und die Flucht ergriffen hätten, darf zumindest bezweifelt werden.“ Deshalb halte er wenig davon, „jetzt nach Schuldigen zu suchen oder irgendwen zu verklagen“. Gegen die Macht der Natur sei niemand gefeit.
Glück im Unglück hatte Ulrike Gottschalk. Sie hat mehr als 30 Jahre im Delbrücker Land gelebt und ist erst vor einiger Zeit der Liebe wegen in ihre alte Heimat Schleiden zurückgekehrt. Dort bewirtschaftet sie mir ihrem Partner einen Bio-Bauernhof mit 90 Hektar Acker- und Wiesenfläche. Der Betrieb mit Rinder- und Schafzucht blieb von der Flut weitgehend verschont.
Noch als Ulrike Gottschalk in Ostwestfalen wohnte, zählte die passionierte Pferdebesitzerin zu den Stammkunden des selbstständigen Hufschmieds Detlev Hanemann. „Als sie umzog, stand für mich außer Frage, dass ich mich auch künftig um das Beschlagen ihrer beiden Pferde kümmere“, erklärt Detlev Hanemann. „So kam mein Kontakt nach Schleiden zustande.“
An der Wand eines Trümmerhauses hat er eine Tafel entdeckt. „Das größte Glück ist die Summe kleiner Freuden“, ist darauf zu lesen. „Mein Wunsch wäre es, dass sich dieser Spruch für die Menschen in den Hochwasser-Regionen bewahrheitet“, sagt Hanemann.