Heimattour rund um Westerwiehe – Im Sattel Dorfgeschichte „erfahren“
Presseartikel aus „Die Glocke“ vom 08. Juni 2021
Redakteur: Gerd Daub-Dieckhoff
Rietberg-Westerwiehe (gdd) – „Rund um Westerwiehe, für alle, die Westerwiehe von allen Seiten kennenlernen möchten“ – unter diesem Motto hat der Heimatfreund Josef Schlüter (70) erstmals eine ausschließlich stadtteilbezogene Route ausgetüftelt, die zum Radwandern einlädt. Fahrtzeit: eine Stunde.
Josef Schlüter, sein Bruder Meinolf (67), Maschinenbauer, und Friedhelm Gehle (80), Postbeamter, sind Rentner. Aktiv sind sie in der Arbeitsgruppe (AG) „Brauchtum und Heimat“ der Schützenbruderschaft St. Laurentius. Die AG ist um lokale Geschichtsaufarbeitung bemüht, aber auch um Bewahrung von Wissensdetails über das Hühnerdorf. Dazu gehört der neue Beitrag, die „Kennenlernrunde“, die sich mit dem Rad in 60 Minuten schaffen lässt. Man verweilt jedoch, wie diese Zeitung in Begleitung der Drei erlebt hat, länger an besonders schönen Punkten.
„Es wäre schade, wenn man ein halbes Dutzend spannender Stationen halbherzig passieren würde“, lautet der Tenor des Routenführungstrios. „Wir haben zwar keine großen Attraktionen zu bieten“, sagt der Tischler im Ruhestand Josef Schlüter über das Dorf, in dem er aufgewachsen ist. „Aber bei uns kann man auf der 20 Kilometer langen Strecke doch eine ganze Menge Interessantes sehen.“ Die Rad-Wanderung startet am Sportheim an der Berkenheide. Gleich geht es nach links in Richtung Bahntrassen-Fahrradweg. „Nach 200 Metern rechts abbiegen“, heißt es ganz unkompliziert in der Routenbeschreibung, und schon kommt der frühere Dorfbahnhof in Sicht. „Nach 600 Metern links abbiegen auf die Straße Kühler Grund.“ Links, rechts, oder geradeaus: Jede Abzweigung ist angegeben, sehr präzise, da immer die Streckensequenzen auf den Meter genau genannt sind.
Josef Schlüter ist überzeugt: „Das ist wirklich kinderleicht!“ Erster Höhepunkt: Antfängers Mühle, gebaut um 1750. Der Name weist auf einen Entenfänger hin, der einst 50 Tiere am Tag gefangen und so sein Brot verdient haben soll. Der denkmalgeschützte Natursteinbau ist heute ein Mini-Kraftwerk: Das Emswasser wird gestaut, Strom privat erzeugt. Das zweite Aha-Erlebnis ist ein anmutiges Panoramabild, das nach dreieinhalb Kilometern erreicht wird: die Westerwieher Schweiz. Ein in Rietberg einzigartiges bergiges Gelände im Bereich von Westerwieher Straße und der Straße Im Winkel. Hier weidet gemütlich Fleckvieh, und das erinnert ans Voralpenland – obwohl bereits bei 93 Höhenmetern Schluss nach oben hin ist. Immerhin können die Westerwieher behaupten, dass sie die höchste Erhebung im Stadtgebiet besitzen.
Dass es im „Kükendorf“ ein Dortenbachtal gibt, weiß selbst nicht jeder Einheimische. Man erreicht die natürliche Senke in Westerwiehe-Ost über die Westerwieher Straße in Fahrtrichtung Binnerfeld. Hier, im weiten Naturschutzgebiet der Rietberger Emsniederung, sammelt sich seit alters her Oberflächenwasser, das umliegende Gräben weiterführen. Die Umgebung der Feldmark ist sandig-sumpfig. Ein Rinnsal im von schattigen Bäumen flankierten Oberlauf des Flachwasserbachs führt am Haus Binnerfeld 7 von Herbert Schnatmann vorbei. Der frühere Postbeamte weiß, so verrät er bei einem Kurzbesuch, dass der Sand der Senke einst von den Bauern zum Streuen im Hausflur verwendet wurde. Und er gibt ein Geheimnis preis: „Unser Dortenbach hat nämlich keine Quelle.“ Über das Sporkfeld geht es auf die Kreuzung bei Motorrad-Kriener und dort in die Furlbachstraße. Damit öffnet sich dem Blick eine idyllische Landschaft, die der Name Klein London prägt. Der Begriff ist älteren Dorfbewohnern geläufig, aber viel damit anfangen können sie nicht mehr.
Tatsache ist jedoch, dass mit der Übernahme der Grafschaft Rietberg durch den Kaufmann Tenge vor 200 Jahren eine neue Domänengutsverwaltung präsent wurde, die Wert darauf legte, dass von ihr abhängige Kötter ihre Hütten im englischen Landhausstil errichteten.
So verrät es die Rietberger Stadtgeschichte. Ob es ein „Klein-London“-Kötterhaus heute noch gibt? „Wir werden dies überprüfen“, versprechen die drei Mitglieder der AG „Brauchtum und Heimat“.
Vorbei an der Ziegelei führt die Route über den Emswall, den zu Westerwiehe gehörenden Teil des auf Paderborner Gemarkung liegenden Steinhorster Beckens mit seiner faszinierenden Wasserlandschaft, Fauna und Flora. Hier muss man einfach stehenbleiben und staunen. In Sichtweite: das Bauerncafé Brinkmeier.
Weiter geradelt wird zum Hedafeld, und an einer Stelle wollen die Heimatfreunde eine Ruhebank errichten: Nahe der Kreuzung mit der Straße Zum Sporkfeld hat es einmal in einer riesigen Eiche gehaust – das berüchtigte Hedamännlein. Die Sage von dem verfluchten Bauern, der als Gespenst Vorübergehende mit dem Ruf „He, da!“ erschreckt haben soll, haben Rietberger Kinder schon in der Volksschule kennengelernt. Die Eiche wurde von bösen Buben abgefackelt, der Geist soll jedoch nicht zur Ruhe kommen.
Vielleicht bietet sich auch deshalb gerade hier eine Verschnaufpause an. Weiter geht es gen Süden. Nach einer Weile auf dem Sattel, in der es entlang von kleinen Wädchen und kleinen Höfen geht, wird der Ortskern erreicht. Dort staunen vor allem fremde Besucher, dass der Stadtteil nicht nur aus Geflügelzuchtfabriken besteht, sondern auch über ein Hühner-Denkmal verfügt, nahe einem früheren Schulhaus. Wem nach der Radtour nach einem Getränk oder Snack zur Stärkung ist, kann in der familiengeführten Gaststätte Seppel Kreutzheide, in der Bäckerei Niermann oder im Hofcafé Johannleweling ein Päusken einlegen. Wer in der vergangenen Stunde noch immer nicht genug Geschichte „erfahren“ haben sollte, der sollte indessen noch einen Blick in die Pfarrkirche St. Laurentius werfen. Die feiert 2021 nämlich ihren 100. Geburtstag.