Westerwiehe: Erste Wagenpost fährt 1669
Der frühere Poststellenleiter hat Details der Ära in einer bebilderten Broschüre zusammengefasst. Damit lieferte er einen bisher einmaligen historischen Beitrag. Das Heft ist nur in wenigen Dutzend Exemplaren verfügbar. Falls jedoch Interesse bestehe, könne er eine kleine Auflage nachdrucken lassen, sagt der 79-Jährige im Gespräch mit dieser Zeitung. Gehle ist Mitglied der Gruppe „Brauchtum und Heimat“, die in der Schützenbruderschaft St. Laurentius aktiv ist und Vorläuferin eines noch zu gründenden Westerwieher Heimatvereins sein dürfte. Der Zusammenschluss empfing jüngst geschichtlich aufgeschlossene Landfrauen im Domizil der Grünröcke. Dabei wurde der Beitrag des Ex-Postlers bestaunt und angefordert.
Das (post-)gelbe Titelblatt der Broschüre ziert ein Bote in roter Dienstkleidung, der auf einem galoppierenden Schimmel sicher im Sattel sitzt und das Posthorn bläst. Damit zeigt es einen jener vielen Friedensreiter, die am Ende des Dreißigjährigen Kriegs zwischen Münster und Osnabrück auf der damals 170 Kilometer langen Reichspostlinie unterwegs waren, um Botschaften und Depeschen zwischen den beiden Städten auszutauschen. Diese Form der Kommunikation führte letztendlich zum Westfälischen Frieden von 1648 – und danach erreichten die Friedensreiter auch die europäischen Hauptstädte.
1669 durchfuhr die fürstbischöfliche Wagenpost Münster-Paderborn erstmals Westerwieher Gebiet. Die Postlinie verlief von Neuenkirchen kommend 2,4 Kilometer auf der Detmolder Straße, bog in die Stienhöfer Straße ab und führte weiter nach Steinhorst. Von Rietberg kommend reichte die Trasse 2000 Meter bis zum Bahnübergang der Eisenbahnlinie Wiedenbrück-Sennelager und von dort ebenfalls, über die Emsbrücke (auch Neubrück oder Nienbrügge genannt), weiter nach Steinhorst.
„Die Wagenpost-Ära erhöhte den Stellenwert des Dorfs Westerwiehe. Erst übernahmen das blühende Postwesen die Preußen, denn eine Haltestelle gab es nicht. Sie befand sich in Neuenkirchen: In der Brennerei Dieckhoff wurde eine große Posthalterei etabliert. Dort wurden Pferde und Wagen gewechselt“, heißt es unter anderem in der „Westerwieher Postgeschichte“ von Friedhelm Gehle.
In Neuenkirchen gab es bereits 1790 eine Postexpedition, die in der Folgezeit auch die Westerwieher Bevölkerung versorgte. Bis 1856 dauerte dieser Service: Briefe und Co. wurden gelagert, ehe sie durch einen Privatmann zum betreffenden Hof gebracht wurden. 1857 wurde dann der Landbestellbezirk Westerwiehe eingeführt, der zur Postanstalt Neuenkirchen gehörte. Ab dem 5. Dezember vor genau 125 Jahren erhielt Westerwiehe schließlich eine Posthilfsstelle. Briefe, Pakete, Nachnahmesendungen und auch Geldbeträge bis zu 25 Talern wurden gelagert, und damit konnten die Landbriefträger um eine Belastung weniger auf ihre werktäglichen Touren gehen.
Die Posthilfsstelle befand sich im Haus des Gastwirts Heinrich Wilsmann, genannt Hampe, heute Westerwieher Straße 255 und Standort der aktuellen Poststelle. Der Gastronom und seine Frau Christine, geborene Westerdieckhoff, nahmen die Verwaltung fürsorglich wahr. Eine Bezahlung erhielten sie dafür nicht. Der letzte Postkutscher war Bernhard Bünte, Landwirt, Westerwiehe 78. Der gebürtige Wiedenbrücker war von 1900 bis 1902 Postillon. Seine Abschiedsfahrt führte er mit einem Viergespann aus. Auf dem Bock hob er immer wieder das Posthorn, ließ es rundherum erschallen.
1902 löste die Westfälische Landeseisenbahn auf der Linie Wiedenbrück-Sennelager die Pferdewagenpost ab, und so erhielt Westerwiehe eine Bahnstation. Bünte wurde von der Reichspost als Landbriefträger übernommen. Bis 1939 trug er in Westerwiehe und Neuenkirchen aus.
Da der „Senneblitz“ auch Postsendungen beförderte, ergab sich eine günstige und schnelle Transportmöglichkeit. Mit einem Missstand: Die Posthilfsstelle im Dorfkern nahm größere Paketmengen nicht an. Und eine Postagentur lehnte die sparsam kalkulierende Oberpostdirektion ab. Das Argument, bei einer Zählung in Neuenkirchen sei unberücksichtigt geblieben, dass die Westerwieher die Hälfte ihrer Postsendungen im Rahmen von Geschäftsgängen zum Arzt oder zum Gericht beim in Rietberg etablierten Postamt selbst ablieferten, entkräftigte die Oberpostdirektion durch eine Gegenzählung.
1902 wurde dennoch – für alle überraschend – eine zweite Posthilfsstelle genehmigt und direkt am Bahnhof Westerwiehe in Betrieb genommen. Zwei Jahre später erlaubte der Kaiserliche Oberpostdirektor Kemple, ohne dies näher zu begründen, eine von allen Bürgern gewünschte Postagentur, die am Bahnhof eingerichtet wurde. Die Leitung übernahm Heinrich Henkenherm senior. Ihm folgte nach seinem Tod sein Sohn, der das Amt bis 1931 bekleidete. Heinrich „Hampe“ Wilsmann sollte derweil nur noch Bier zapfen. Denn die von ihm geführte Hilfsstelle wurde aufgehoben. Der Wirt hatte jedoch schlau gehandelt und sein Anwesen für weitere Postzwecke umgebaut. Bald war die Postagentur wieder unter seinem Dach, geführt von Josef Hampe…
Der Gütersloher Siegmar Stowinsky suchte 2004 zur Thematik „Post im Amtsbereich des PA Gütersloh“ für seine Heimatsammlung nach Daten. Er schrieb den damaligen Ortsvorsteher Rudolf Kühlmann an, der den Brief an Friedhelm Gehle weiterleitete. Gehle konnte helfen – und erhielt von Stowinsky dafür Westerwieher Material über die Postzeiten.
Nach einer Ausbildung für den mittleren Dienst übernahm Gehle von 1971 bis 1983 die Poststelle des Kükendorfs. Danach war er bis zu seiner Pensionierung 1995 für die Kaunitzer Filiale verantwortlich. Als ihm vor einigen Monaten das Textmaterial Stowinskys wieder in den Blick geriet, kam die Idee auf: Für eine Zusammenfassung begann er, Fotos und Bekanntmachungen zu sammeln. So entstand die Broschüre, die auch Profis wie Ralf Othengraf anspricht.
Der Archivar der Kreisverwaltung Gütersloh erklärt auf Anfrage, eine kreisbezogene komplette Historie gebe es bislang nicht. Dies mag zunächst verwundern. Denn in der Schriftenreihe „Monografie des Landkreises Wiedenbrück“ von 1966 ist ein Band „Postgeschichte/Pressewesen“ aufgeführt. Die Reihe, die 31 Titel umfassen sollte, sei jedoch nach dem Tod der verantwortlichen Leiterin nicht vollendet worden, sagt Othengraf. Auch Stowinsky kann nicht helfen: Seine Recherchen hatte er einem Interessenten überlassen, der unbekannt verzogen ist. Somit ist Gehles Postgeschichte vielleicht bedeutsamer, als er selbst annimmt.